JOAN FONTCUBERTA - Interview


Landschaftsrecycling

 

Joan Fontcuberta über Kunst als Topographie und Bildschirme in Platos Höhle 2.0

 

VON LISA CONTAG 2012

 

Als einen Konzeptkünstler, der mit Fotografie arbeitet, bezeichnet Joan Fontcuberta sich. Ob in der „Fauna“-Serie mit Pere Formiguera, der das MoMA 1988 eine Einzelausstellung widmete, in den „Hemograms“ für die er zehn Jahre später Blut als Negativ verwendete oder in „Sputnik“ (1997), seinem semifiktionalen Weltraum-Fotografie Projekt, das für ein mediales Verwirrspiel sorgte: Die Fotografie ist für den Katalanen ein künstlerisches Hilfsmittel, mit dem er Verdecktes aufspürt, das, was das Bild nicht zeigen kann.

 

Großformatige Fotografien monumentaler Landschaften: Berge, Seen, Steppen – der ahnungslose Ausstellungsbesucher stutzt zunächst, wenn er die Serie sieht. Wolkenlose Himmel allenthalben, nirgends Menschen, alles so perfekt und glatt, hier. Zu perfekt und glatt, wie man bemerkt, wenn man ganz nah ran geht: Tatsächlich besteht die gesamte Ausstellung aus Computerrenderings. Keine dieser Landschaften gibt es wirklich. Sie sind am Rechner entstanden, entworfen von einem ursprünglich für wissenschaftliche und militärische Zwecke entwickelten Programm. Dessen ursprüngliche Aufgabe besteht darin, vermittels der Farbskalen topographischer Karten 3D-Landschaften zu simulieren. Nur, dass Fontcuberta dem Programm statt Landkarten Kunst gefüttert hat. Landschaftsmalerei und Fotografie, von Hokusai über Cézanne bis Eugène Atget. Die Ergebnisse sind verblüffend, nicht zuletzt, weil die Verwandtschaft zwischen errechnetem Rendering und gemaltem oder analog fotografiertem Original kaum zu bemerken ist. Es ist, als offenbarten diese Simulationen eine verborgene Identität der vertrauten Motive, ein heimliches Reich, das verschlüsselt in ihren Farben und Kontrasten schlummert. So also sieht ein nach bestimmten Parametern eingestellter Computer diese Kunst. Aber kann ein Computer überhaupt sehen? Und kann der Betrachter sehen wie ein Computer? Oder sieht er, was er (wieder-)erkennt, eine Landschaft, und konstituiert damit deren Realität – auch wenn sie nirgends in der Welt zu finden ist? Lisa Contag von ARTINFO Deutschland traf den Künstler und Kurator in Berlin zum Gespräch über künstliche Natur, Platos Höhle 2.0 und die wundersame Verwandlung eines Caspar David Friedrichs.

 

Sie sind im BANFF in Kanada auf diese erstaunliche Software gestoßen, die zu dieser Serie geführt hat. Wie kam es damals dazu?

 

Ich war da in den frühen 90ern, eine wundervolle Institution, die Kunst und Technologie in Austausch bringt. Ich arbeitete damals in einer Gruppe, die sich mit der Frage beschäftigte, welchen Einfluss digitale Technologien auf die Produktion fotografischer Bilder haben. Dabei bin ich auf diese Computerexperten aufmerksam geworden, die an virtueller Technologie gearbeitet haben und diese Renderings entwickelt haben. 3D-Modelle, die die Realität virtuell reproduzieren. Für mich war das paradox: Draußen war diese beeindruckende, wilde Natur, warum sich da in einen dunklen Raum einsperren und versuchen, die Natur in einer virtuellen Welt nachbilden? Es war wie eine Metapher unserer Zeit, das hat mich fasziniert. Interessant war für mich auch die Methode, mit der sie gearbeitet haben, um aus zweidimensionalen Bildern dreidimensionale zu machen. Es gab verschiedene Möglichkeiten, mit denen ich experimentiert habe. Und so entwickelte sich das zu einem potenziell nützlichen Werkzeug für mich. Eines der wichtigsten Konzepte meiner Arbeit ist, wie Repräsentationen der visuellen Welt in etwas übersetzt werden, das lesbar sein kann. Ich komme nicht aus der Kunst oder Kunstgeschichte, ich habe Kommunikation und Semiotik und Informationstheorie studiert [Fontcuberta lehrt seit 1993 an der Pompeu Fabra Universität in Barcelona audiovisuelle Kommunikation]. Diese Übersetzungsprozesse von Bildern [durch Rechnen] haben mich deshalb fasziniert. Mir wurde also klar, dass das ein guter Ansatz für ein Projekt war, das sich mit der Künstlichkeit der Natur befasst: Damit, dass wir künstliche Modelle brauchen, um die Natur zu verstehen und mit ihr interagieren zu können.

 

Haben Sie damals schon mit Kunstwerken gearbeitet?

 

Nein. Zunächst habe ich herumexperimentiert und gespielt. Dabei habe ich es zunächst belassen. Doch einige Jahre später habe ich mich wieder mit Natur, mit Landschaften beschäftigt, in anderen Projekten und ich bin wieder auf  diese Art von Software gestoßen, die inzwischen weiterentwickelt und vielfach und in verschiedenen Programmen eingesetzt wurde. Ich fand dann eine Software, die mit Farben arbeitet. In Karten repräsentieren die Farben ja Höhen, auf dieser Grundlage verwandelt die Software die Karten zu Landschaften.

 

Ich dachte mir, man müsste die Software pushen, über ihre Bestimmung hinaus. Was passiert, wenn sie als Input keine Karte, sondern etwas anderes bekommt? Ein Bild von einer Landschaft? Wie würde die Software einen van Gogh oder einen Cézanne interpretieren? Wenn sie glaubte, dass es Karten sind? Was würde passieren, wenn die Software bestehende Landschaften in neue recycelt? Für mich ist das eine sehr symbolische und poetische Geste, die zeigt, dass wir heute das unmittelbare Erlebnis nicht  mehr brauchen, um eine Landschaft zu produzieren. Wir brauchen stattdessen die Erfahrungen, die bereits in diese Bilder eingeflossen sind, was natürlich sehr platonisch ist: Die Realität ist weit weg, wir sitzen in der Höhle, mit Bildschirmen und Bildern, die für uns zur Realität werden. Zugleich ein sehr postmodernes Statement. Wir befassen uns mit Illusionen und Repräsentationen, aber nicht mehr mit der physischen Welt. Wir leben mit einer metaphorischen Einstellung zur Welt.

 

Was bedeutet das im Zusammenhang mit Fotografie?

 

Das legt einen anderen semiotischen Status für das fotografische Bild nahe. Was kommt dabei heraus? Ist es eine Fotografie? Ein digitales Bild, das aussieht wie eine Fotografie? Was ist die Essenz einer Fotografie? Die Kamera? Licht? Die Technik? Unsere Rezeption und Realitätswahrnehmung? Die Realität kann sehr überzeugend rekonstruiert werden, durch diese Software. Oder ist es eine Reflexion der physischen Welt? Das impliziert auch epistemologische und philosophische Fragen. Jenseits von Form und Ästhetik eröffnen sich da viele theoretische Fragen.

 

Bei den meisten Ihrer Projekte scheint das, was man auf den Bildern sieht, da zu sein, um das, was man eben nicht sehen kann, sichtbar zu machen, oder besser find bar. Das Visuelle repräsentiert nicht den Inhalt. Den muss man stattdessen finden, man darf sich nicht täuschen lassen.

 

Ich bin einer Diktatur aufgewachsen. In einem Klima der Propaganda und Zensur, ich bin mit einem grundsätzlichen  Misstrauen aufgewachsen, gegenüber Informationen, Politikern, Situationen. Ich habe diese Informationen mit meiner eigenen Erfahrung verglichen und da war immer eine Lücke. So wurde mir klar: Das sind keine Fakten, das sind Erfahrungen. Die „Realität“ gibt es nicht. Sie ist nur als Ergebnis einer intellektuellen Anstrengung zu verstehen. Die Fotografie kam im 19. Jahrhundert auf, das Produkt einer technisierten, wissenschaftlichen Kultur. Sie war ein ideologisches Werkzeug, nicht unschuldig. Fotografie ist kein Spiegel, sie ist aufgeladen mit Ideologien. Sobald man auf den Auslöser drückt, wird all das aktiviert. Der Fotograf muss sich dessen bewusst sein und versuchen, sie zu konfrontieren, zu filtern. Sonst ist er nur ein Funktionär des Systems und kann keine Botschaft vermitteln, sondern überlässt das dem System und seiner ideologischen Macht. Ich habe Kommunikation studiert und in der Werbung gearbeitet. Ich kenne also die ganzen Tricks der Medien, die verführerischen Systeme, die produziert werden können, um ein Publikum zu überzeugen, Meinungen zu bilden. Und in alledem hat die Technologie immer eine wichtige Rolle gespielt. Fotografie ist für mich eine Technologie, die der Wahrhaftigkeit dient. Deshalb versuche ich, mit meiner Arbeit diese Konventionen zu durchbrechen.

 

Sie durchbrechen mit Orogenesis auch ganz konkret die Konventionen der Landschaftsfotografie.

 

In der Kunst hat es Tradition, Ort mit einem Gedächtnis darzustellen: Hier passierte etwas, hier starben Menschen, hier war eine Schlacht. Diese Landschaften sind anders. Sie haben keinerlei Gedächtnis. Wir sind die ersten, die sie erleben, die ersten die sie sehen und wir projizieren unsere eigene Erinnerung darauf. Es ist ein bisschen wie Weltraumfotografie, wenn man Orte sieht, die völlig ohne menschliche Geschichte sind. Dennoch: Die Nasa-Bilder zeigen uns etwas, das physisch erlebbar ist. Aber hier sehen wir reine Fiktion: Die Imagination des Computers.

 

Welches war das erste Kunstwerk, das Sie der Imagination des Computers überlassen haben?

 

Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“. Weil es ein sehr wesentliches Bild in der Geschichte der Landschaftsmalerei ist. Es zeigt die Landschaft und zugleich uns, wie wir die Landschaft anschauen. Wir betrachten den Betrachter und sehen nur seinen Rücken, weil er in die Ferne schaut. Es handelt vom Schauen und gleichzeitig vom Dialog mit der Landschaft, das fand ich einen passenden Anfang. Und außerdem liebe ich das Bild sehr. Es ist ein Meisterwerk.

 

Und als Sie das Ergebnis gesehen haben? Wie war das?

 

Wie ein Wunder. Die Landschaft hatte sich völlig verändert, eine fantastische Konstruktion aus Bergen und Seen, von der man sich doch vorstellen konnte, dass es das irgendwo gibt. In den meisten meiner Projekte führe ich die Betrachter ein bisschen in die Irre, ich will, dass sie zögern. Aus der Ferne denkt man, dass es das geben könnte. Erst aus der Nähe bemerkt man, dass das Computerbilder sind und begreift, dass das da eine virtuelle Realität, eine fiktionale Repräsentation ist. Und dann fragt man sich, wie das entstanden ist, warum, warum man erst dachte, es sei echt. Um eben diese Fragen geht es. Sie weisen den Weg zum Wissen und das ist für mich Freiheit. 

Orogenesis: Man Ray-Duchamp
Orogenesis: Man Ray-Duchamp

Landscape Recycling

Joan Fontcuberta on art as topography and screens in Plato's Cave 2.0

 

BY LISA CONTAG 2012

 

Joan Fontcuberta describes himself as a conceptual artist who works with photography. Whether in the "Fauna" series with Pere Formiguera, to which MoMA dedicated a solo exhibition in 1988, in the "Hemograms" for which he used blood as a negative ten years later, or in "Sputnik" (1997), his semi-fictional space photography project that caused a media confusion: for the Catalan, photography is an artistic tool with which he tracks down what is concealed, what the image cannot show.

 

Large-format photographs of monumental landscapes: Mountains, lakes, steppes - the unsuspecting exhibition visitor is initially taken aback when he sees the series. Cloudless skies everywhere, no people anywhere, everything so perfect and smooth, here. Too perfect and smooth, as you realise when you get up close: in fact, the entire exhibition consists of computer renderings. None of these landscapes really exist. They were created on the computer, designed by a programme originally developed for scientific and military purposes. Its original task is to simulate 3D landscapes using the colour scales of topographic maps. The only difference is that Fontcuberta fed the programme art instead of maps. Landscape painting and photography, from Hokusai to Cézanne to Eugène Atget. The results are amazing, not least because the relationship between the calculated rendering and the painted or analogue photographed original is hardly noticeable. It is as if these simulations reveal a hidden identity of the familiar motifs, a secret realm that slumbers encoded in their colours and contrasts. So this is how a computer set to certain parameters sees this art. But can a computer see at all? And can the viewer see like a computer? Or does he see what he (re)recognises, a landscape, and thus constitute its reality - even if it is nowhere to be found in the world? Lisa Contag from ARTINFO Germany met the artist and curator in Berlin for a conversation about artificial nature, Plato's Cave 2.0 and the wondrous transformation of a Caspar David Friedrich.

 

You came across this amazing software at BANFF in Canada that led to this series. How did it come about back then?

 

I was there in the early 90s, a wonderful institution that brings art and technology into exchange. I was working in a group at the time that was looking at the impact of digital technologies on the production of photographic images. That's when I became aware of these computer experts who were working on virtual technology and developing these renderings. 3D models that virtually reproduce reality. It was a paradox for me: outside was this amazing, wild nature, why lock yourself in a dark room and try to recreate nature in a virtual world? It was like a metaphor of our time, that fascinated me. What was also interesting for me was the method they used to turn two-dimensional images into three-dimensional ones. There were different possibilities that I experimented with. And so it developed into a potentially useful tool for me. One of the most important concepts in my work is how representations of the visual world are translated into something that can be readable. I don't come from art or art history, I studied communication and semiotics and information theory [Fontcuberta has taught audiovisual communication at Pompeu Fabra University in Barcelona since 1993]. So these translation processes of images [through computation] fascinated me. So I realised that this was a good approach for a project dealing with the artificiality of nature: With the fact that we need artificial models to understand and interact with nature.

 

Were you already working with artworks at that time?

 

No. At first I experimented and played around. That's what I left it at first. But a few years later I started working with nature again, with landscapes, in other projects and I came across this kind of software again, which has since been further developed and used many times and in different programmes. I then found a software that works with colours. In maps, the colours represent heights, and on this basis the software transforms the maps into landscapes.

 

I thought to myself that the software should be pushed beyond its purpose. What happens if it doesn't get a map as input, but something else? A picture of a landscape? How would the software interpret a van Gogh or a Cézanne? If it believed they were maps? What would happen if the software recycled existing landscapes into new ones? For me, this is a very symbolic and poetic gesture that shows that today we no longer need the immediate experience to produce a landscape. Instead, we need the experiences that have already been incorporated into these images, which is of course very Platonic: reality is far away, we sit in the cave, with screens and images that become reality for us. At the same time, a very postmodern statement. We deal with illusions and representations, but no longer with the physical world. We live with a metaphorical attitude to the world.

 

What does that mean in the context of photography?

 

This suggests a different semiotic status for the photographic image. What is the result? Is it a photograph? A digital image that looks like a photograph? What is the essence of a photograph? The camera? The light? The technique? Our reception and perception of reality? Reality can be reconstructed very convincingly, through this software. Or is it a reflection of the physical world? This also implies epistemological and philosophical questions. Beyond form and aesthetics, it opens up a lot of theoretical questions.

 

 In most of your projects, what one sees in the pictures seems to be there to make visible, or better find bar, what one cannot see. The visual does not represent the content. Instead, you have to find it, you must not let yourself be deceived.

 

I grew up in a dictatorship. In a climate of propaganda and censorship, I grew up with a fundamental distrust of information, politicians, situations. I compared this information with my own experience and there was always a gap. So I realised: these are not facts, these are experiences. The "reality" does not exist. It can only be understood as the result of an intellectual effort. Photography emerged in the 19th century, the product of a mechanised, scientific culture. It was an ideological tool, not innocent. Photography is not a mirror, it is charged with ideologies. As soon as you press the shutter release, all that is activated. The photographer must be aware of this and try to confront it, to filter it. Otherwise he is just a functionary of the system and cannot convey a message, but leaves it to the system and its ideological power. I studied communication and worked in advertising. So I know all the tricks of the media, the seductive systems that can be produced to convince an audience, to form opinions. And in all of this, technology has always played an important role. Photography for me is a technology that serves truthfulness. That's why I try to break through these conventions with my work.

 

With Orogenesis, you also break through the conventions of landscape photography in a very concrete way.

 

In art, there is a tradition of depicting place with a memory: Something happened here, people died here, there was a battle here. These landscapes are different. They have no memory at all. We are the first to experience them, the first to see them, and we project our own memory onto them. It's a bit like space photography, seeing places that are completely devoid of human history. Still, the Nasa images show us something that can be physically experienced. But here we see pure fiction: the computer's imagination.

 

What was the first work of art you left to the computer's imagination?

 

Caspar David Friedrich's "Monk by the Sea". Because it is a very essential picture in the history of landscape painting. It shows the landscape and at the same time us looking at the landscape. We look at the viewer and only see his back because he is looking into the distance. It is about looking and at the same time about the dialogue with the landscape, I found that a fitting beginning. And besides, I love the painting very much. It is a masterpiece.

 

And when you saw the result? What was it like?

 

Like a miracle. The landscape had completely changed, a fantastic construction of mountains and lakes that you could have imagined existed somewhere. In most of my projects I mislead the viewers a bit, I want them to hesitate. From a distance, you think that it could exist. Only up close do you notice that these are computer images and realise that this is a virtual reality, a fictional representation. And then you ask yourself how it came about, why, why you first thought it was real. These are the questions. They point the way to knowledge, and for me that is freedom. 



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